19.12.2020 von Sandra Helfenstein
Der Anspruch nach Perfektion bei Gemüse, Obst oder Kartoffeln führt zu Food Waste – und einer unnötigen Belastung für Umwelt und Klima. Bauernfamilien engagieren sich für die Reduktion von Food Waste und plädieren für mehr Toleranz und Wertschätzung zugunsten von Lebensmitteln.
Projektleiterin Food Waste beim Schweizer Bauernverband
sandra.helfenstein@sbv-usp.chwww.sbv-usp.ch
Die Schweizer Bauernfamilien produzieren mit Leidenschaft Lebensmittel für die Bevölkerung. Sie bearbeiten die Böden, bauen Kulturen an, pflegen diese von der Saat bis zur Ernte und sorgen sieben Tage die Woche für ihre Nutztiere. Verluste versuchen sie dabei möglichst zu vermeiden. Denn alles, was sie nicht verkaufen (können), fehlt ihnen an Einnahmen.
Dennoch: Die Lebensmittelproduktion braucht per se viele Ressourcen. Wenn das Essen am Schluss statt in unseren Mägen im Abfall landet, belastet das die Umwelt unnötig. Es entstehen vermeidbare CO2-Emissionen, der Land- und Wasserverbrauch war verschwendet. Das hat auch wirtschaftliche Konsequenzen: Weggeworfene Lebensmittel verursachen hohe Kosten entlang der Produktions- und Wertschöpfungskette.
In der Schweiz geht rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel zwischen Feld und Teller verloren. Das entspricht pro Jahr rund 2,8 Millionen Tonnen. Fast die Hälfte dieser vermeidbaren Lebensmittelabfälle fällt in den Haushalten und in der Gastronomie an. Die Landwirtschaft ist für neun Prozent der gesamten Lebensmittelverschwendung verantwortlich. Die beiden Hauptgründe für Food Waste in der Landwirtschaft sind:
Ein Fünftel der unverkäuflichen Ware landet in der Tierfütterung und wird damit – über einen Umweg – wieder zu Lebensmitteln. Den Rest wandeln Biogasanlagen zu Strom und Wärme um und der so entstandene Kompost gelangt als Dünger wieder auf die Felder. Auch andere Erntereste arbeiten die Bauern in den Boden ein, wo sie zur Humusbildung beitragen und die Bodenfruchtbarkeit fördern. Noch besser wäre allerdings, wenn es gelänge, die neun Prozent Verlust auf Stufe Landwirtschaft ganz zu vermeiden.
Bauernfamilien versuchen bereits aus finanziellen Gründen, Abfälle wo immer möglich zu vermeiden. Das beginnt bei der Planung der Kulturen und der gestaffelten Aussaat oder Pflanzung und geht bis zur optimalen Pflege der Kulturen während des ganzen Wachstums und der Reifezeit. Je nachdem brauchen die Pflanzen Schutz vor der Witterung wie zum Beispiel vor Hagel oder Regen, vor Schädlingen, Krankheiten oder konkurrierenden Unkräutern, um die verkäufliche Qualität der Ernte zu sichern. Gerade auch für die Lagerung ist es wichtig, dass die Produkte gesund sind. Dank modernster Technik fallen heute während der Ernte kaum mehr Verluste an.
Ein grosser Teil der Ernte geht in den Handel und schliesslich in den Detailhandel. Dort gelten strenge Normen für die Produkte. Viele Bauern vertreiben einen Teil ihrer Ernte aber auch direkt an die Kunden, sei es im Hofladen oder auf dem Wochenmarkt. Einige Bauernfamilien verarbeiten auch selber Rohstoffe weiter zu Sirup, Konfitüren und weiteren Produkten. Über diese zwei Kanäle finden auch krumme Rüebli, Äpfel mit oberflächlichen Flecken oder überreife Tomaten – entweder frisch oder verarbeitet – Absatz. Der Direktverkauf hilft somit, Food Waste in der Landwirtschaft zu reduzieren.
Im Rahmen der nationalen Kampagne «SAVE FOOD. FIGHT WASTE.» unterstützt der Schweizer Bauernverband Bauernfamilien dabei, vermeintlich nicht perfekt aussehende Lebensmittel dennoch gut zu verkaufen. Die Bauern können kostenlos Aufkleber und Flyer bestellen, um nichthandelstaugliche Ware auszuzeichnen und zu einem reduzierten Preis anzubieten. Die Kunden sehen so, dass der Kauf dieser Produkte nicht nur gut fürs Portemonnaie ist, sondern auch einen Beitrag gegen Food Waste leistet. Denn Naturprodukte unterliegen in ihrer Form, Grösse und Aussehen Schwankungen und sind nicht so perfekt und normiert, wie uns das die Auslage im Detailhandel vormacht.
Um regelmässig anfallende kleinere Mengen nicht handelsfähiger Produkte oder Frischwaren vom Vortag zu den Konsumentinnen und Konsumenten zu bringen, arbeitet der Schweizer Bauernverband mit Too Good To Go zusammen. Betriebe können sich auf deren Website registrieren und nicht handelsfähige Naturprodukte, Salate oder Backwaren vom Vortag und Ähnliches via App der Bevölkerung anbieten. Der Betrieb generiert dadurch ein kleines Entgelt, erfüllt ein Kundenbedürfnis und leistet einen aktiven Beitrag für weniger Food Waste.
Landwirte und Landwirtinnen finden auf der Website des Bauernverbands auch eine Liste mit möglichen Abnehmern von nicht verkäuflicher Ware, die in grösserem Umfang anfällt. Das kommt zum Beispiel vor, wenn der Ertrag eines ganzen Feldes wegen Mängeln nicht verkäuflich ist, die Ware aber problemlos geniessbar wäre. Zu solchen Abnehmern gehören beispielsweise Grassrooted in der Region Zürich oder Gmüesgarte und das Erntenetzwerk in der Region Bern. Hier haben sich in den letzten Jahren soziale Netzwerke als gute Kanäle erwiesen, um auch grosse Mengen Lebensmittel noch an die Frau und an den Mann zu bringen.
Gemeinden haben keinen Einfluss auf Normen im Detailhandel, die Food Waste in der Landwirtschaft fördern. Sie können aber die Bemühungen von Landwirtinnen und Landwirten mit eigenen Massnahmen multiplizieren:
Alle Massnahmen, die den Direktverkauf unterstützen, helfen auch gegen Food Waste. Findet man auf der Website der Gemeinde Bauernbetriebe, die einen Hofladen oder Verkaufsautomaten haben? Auch ein Hinweis auf die nationale Plattform vomhof.ch, auf der Interessierte nach Angeboten in der Region suchen können, wäre sinnvoll.
Via Direktverkauf, zum Beispiel im Hofladen, schaffen es auch Produkte in den Verkauf, die genusstechnisch zwar einwandfrei sind, in der Form aber etwas aus der strengen Norm fallen.
Dadurch können nicht nur einwandfreie Produkte verkauft werden...
... sondern auch enge Kontakte mit den Kunden aufgebaut werden.
Auf der Website verantwortungsvolle-landwirtschaft.ch publiziert der Schweizer Bauernverband für die Bevölkerung nicht nur generelle Informationen zum Thema Food Waste, sondern auch konkrete Tipps einer Bäuerin, wie sich Lebensmittelverschwendung im Haushalt vermeiden lässt.Daneben finden sich auch Fakten zur Landwirtschaft und verschiedenen Themen wie Klima, Boden, Pflanzenschutz und Biodiversität.
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