30.12.2020 von Claudio Beretta
Die Reduktion der Lebensmittelverschwendung ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung des Zwei-Grad-Klimaziels. Während viele Klimaschutzmassnahmen zumindest kurzfristig etwas kosten, bringt Food-Waste-Vermeidung sogar finanzielle Einsparungen.
Forschungsgruppe für Lebensmittel-Technologie, ZHAW
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Im Jahr 2015 haben sich auf der Pariser Klimaschutzkonferenz (COP21) 195 Länder erstmals auf ein allgemeines, weltweit rechtsverbindliches Klimaschutzübereinkommen geeinigt: Die globale Erderwärmung soll 2 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau nicht überschreiten, besser wären 1,5 Grad.
Das World Resource Institute (WRI) hat dieses Ziel auf tolerierbare Treibhausgasemissionen heruntergebrochen. Danach müssten die Emissionen bis 2050 auf 21 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente begrenzt werden, damit das Zwei-Grad-Ziel mit einer rund 70 prozentigen Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann. Bereits die heutigen Emissionen sind zwei- bis dreimal höher als das angestrebte Ziel; wenn wir so weitermachen wie bisher, erreichen wir im Jahr 2050 sogar über viermal so hohe Emissionen.
Die landwirtschaftliche Produktion inklusive Landnutzungsänderungen, zum Beispiel durch Abholzung zugunsten von Ackerland, ist ein grosser Verursacher von Treibhausgasen. Das WRI hat berechnet, welche Emissionen aus der Landwirtschaft im Jahr 2050 noch tolerierbar wären, um die Klimaziele zu erreichen: Vier Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. Das Szenario «Business as usual» führt aber zu 15 Milliarden Tonnen, also fast dem Vierfachen (siehe Abbildung).
Um die überschüssigen elf Milliarden Tonnen CO2 zu vermeiden, hat das WRI einen Massnahmenplan entwickelt. Den ersten Eckpfeiler der Vermeidungsstrategie bildet die Halbierung von Food Waste. Weitere Bausteine sind unter anderem klimafreundlichere Essgewohnheiten, insbesondere weniger tierische Lebensmittel, landwirtschaftliche Innovationen zur Steigerung der Erträge und zur Senkung des Methanausstosses von Wiederkäuern sowie die Wiederherstellung von Feuchtgebieten.
Den meisten Leuten ist bewusst, dass Lebensmittel nicht in den Kehricht gehören. Viele verspüren aber kein schlechtes Gewissen, wenn sie Lebensmittel kompostieren oder dem Haustier verfüttern. Dies kommt von der falschen Vorstellung, dass der Verlust von Nährstoffen das grösste Problem an der Verschwendung von Lebensmitteln ist. Mindestens so schlimm sind jedoch die Umweltbelastungen, welche durch die Produktion, den Transport, die Lagerung, Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln verursacht werden. All diese Umweltbelastungen können wir einsparen, wenn wir nur so viel produzieren, wie wir zum Essen brauchen.
Das gilt zum Beispiel für ein Stück Rindfleisch: Wenn wir im Restaurant eine halbe Portion bestellen, anstatt die Hälfte auf dem Teller übrigzulassen, dann entlasten wir die Umwelt und das Klima in vielerlei Hinsicht. Der Bauer muss nur halb so viele Rinder halten und braucht dafür nicht so viel Stallplätze und Land. Weniger Tiere stossen weniger klimawirksame Verdauungsgase aus, insbesondere Methan. Sie brauchen weniger Futtermittel, die zu einem grossen Teil aus anderen Ländern importiert werden, wo insbesondere tropische Regenwälder dafür abgeholzt werden. Diese Landnutzungsänderungen belasten das Klima stark, weil der ganze Kohlenstoff, der in der Biomasse gespeichert war, freigesetzt und vorwiegend in Form von Treibhausgasen in die Atmosphäre entlassen wird. Fossil betriebene Traktoren bearbeiten die Felder und verteilen Kunstdünger, der bei der Produktion viel Energie verschlingt, deren Bereitstellung wiederum das Klima belastet. Lastwagen und Schiffe transportieren die Futtermittel in die Schweiz, wobei meist fossile Treibstoffe eingesetzt werden. Ist das Rind schlachtbereit, wird es zum Schlachthof transportiert. Verarbeitung und Lagerung brauchen weitere Energie und Infrastruktur, die das Klima belasten. Anschliessend wird das Fleisch in Plastik verpackt und schliesslich gekocht oder gegrillt, wobei auch hier Treibhausgase entstehen. Wenn wir also ein Stück Fleisch «retten», sparen wir Emissionen beim Futteranbau in Brasilien, bei den Landwirten in der Schweiz, beim Metzger, Händler, Verarbeiter und im Restaurant sowie bei allen dazwischenliegenden Transporten.
Das Rindfleisch-Beispiel macht schnell klar, wie effektiv die Klimaschutzmassnahme «Essen retten» ist. Wie viele technologische und logistische Optimierungen wären nötig, um bei all den erwähnten Prozessen die Klimaemissionen zu halbieren? Sie hätten letztlich den gleichen Effekt wie die banale Massnahme, dass Restaurants halbe Portionen anbieten und Gäste nur so viel bestellen, wie sie essen mögen.
Food Waste zu vermeiden, erscheint besonders attraktiv, wenn wir den Nutzen mit anderen Umweltschutzmassnahmen vergleichen. Eine aktuelle Studie des Bundesamts für Umwelt (Bafu) über die Umwelteffekte von Food Waste in der Schweiz zeigt, dass Lebensmittelverschwendung das Klima so stark belastet wie ein Drittel aller Autos. Wenn andere Umwelteffekte wie Land- und Wasserverbrauch mitberücksichtigt werden, ist es sogar die Hälfte aller Autos. Die Halbierung von Food Waste in der Schweiz spart damit jedes Jahr so viel Umweltbelastung, wie eine Million Autos verursachen, wenn sie einmal die Erde umrunden.
Ein internationales Forschungsprojekt hat über tausend Firmen befragt, die Food-Waste-Vermeidungsmassnahmen umgesetzt haben. Dabei zeigte sich praktisch in allen Betrieben eine positive Bilanz: Die eingesparten Kosten überstiegen den Mehraufwand für die Analyse und die Umsetzung von Massnahmen bei weitem. Im Durchschnitt konnten für jeden investierten Franken Waren- und Personalkosten von 14 Franken eingespart werden. Welche andere Klimaschutzmassnahme ist wirtschaftlich so lukrativ?
Über ein Drittel der Umweltbelastung von Food Waste entsteht allerdings bei den Haushalten. Auch hier sind gemäss Bafu durchschnittliche Kosteneinsparungen von über 600 Franken pro Haushalt und Jahr möglich. Allerdings ist es hier schwieriger, die Wirtschaft von Massnahmen zu überzeugen, denn sie profitiert davon, dass die Leute zu viel einkaufen. Deshalb ist Sensibilisierung wichtig: Konsumentinnen und Konsumenten haben es in der Hand, den klimaschützenden «Batzen und s’ Weggli» zu haben, indem sie ganz einfach nur so viel einkaufen, wie sie brauchen. Ausserdem können sie dazu beitragen, dass Unternehmen weniger wegwerfen, beispielsweise indem sie direkt auf dem Markt einkaufen oder ein Gemüseabo buchen, wo auch krumme Rüebli eine Chance haben.
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